Suleika öffnet die Augen – Gusel Jachina

Diese Rezension fällt mir schwer, ich bastele schon tagelang an diesem Artikel herum. Die Titelfigur Suleika hat mich berührt, interessiert, mitgerissen, ich habe mit ihr (und für sie) gelitten, mich aber auch über sie gewundert, und mich sogar über sie geärgert.

Beim Lesen wurden also alle möglichen Emotionen frei, teils auch gegensätzliche zur gleichen Zeit. Aber ich habe auch Kritik, die die Sternchen wieder gedrückt hat.

ACHTUNG: Diese Rezension spoilert die Handlung.

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Die Russland-Expedition – Alexander von Humboldt

Drei Jahrzehnte nach seiner berühmten Reise zum Orinoko begibt sich Alexander von Humboldt auf Einladung des Zaren auf eine Russland-Expedition.

Der schon zu Lebzeiten berühmte Forscher und Naturwissenschaftler schreibt von seiner Reise Briefe an den russischen Finanzminister, and seinen Bruder Wilhelm, und an seinen Freund Arago.

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Nauru Burning

von Mark Isaacs

Australien, das vielen von uns als Einwandererland bekannt ist, hat ein immens strenges System für Asylbewerber und Flüchtlinge. Sie werden noch vor der Küste abgefangen, und auf verschiedenen Pazifikinseln interniert, ohne jemals einen Fuß auf Australischen Boden zu setzen. Dort sind sie oft monate- oder jahrelang inhaftiert bevor über ihren Asylantrag entschieden wird. Viele werden dann am Ende nicht von Australien, sondern von Papua-Neuguinea aufgenommen.

Das wird von der westlichen Welt fast nicht wahrgenommen, denn Journalisten ist der Aufenthalt auf solchen Inseln wie Manus oder Nauru nicht gestattet, und auch Hilfsorganisationen sind dort nicht erwünscht. Politiker, die sich auf den Inseln für die Flüchtlinge einsetzen, werden kurzerhand gefeuert und deportiert.

Was 2013 mit einem friedlichen Protest im Flüchtlingslager von Nauru begann, eskalierte zu einem gewalttätigen Aufstand, an dessen Ende das Lager in Schutt und Asche lag, und viele Menschen verletzt wurden. Hunderte Flüchtlinge wurden willkürlich verhaftet und angeklagt, den Aufstand geplant oder angezettelt zu haben.

Mark Isaacs, der bereits ein Buch über Nauru geschrieben hatte, veröffentlich in diesem kurzen eBook die Aussagen von Beteiligten auf beiden Seiten, und versucht, das Geschehen chronologisch nachzuzeichnen.

Dieses Buch ist Teil meiner literarischen Südsee-Kreuzfahrt.

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Der Abenteurer auf dem Thron: Richard Löwenherz

von Régine Pernoud

Das Leben von Richard Löwenherz ist sehr spannend. Als zweitgeborener Sohn von Heinrich II von England sollte er eigentlich gar nicht König werden. Schon als junger Prinz wird er Kronerbe von Aquitanien, das er von seiner Mutter bekommt. Sein ganzes Leben verbringt er mit Feldzügen, und ist während seiner Regierungszeit kaum in England anwesend.

Ich habe mir das Buch gekauft, weil mich der Titel sehr angesprochen hat. Leider ist mir das Niveau, auf dem Régine Pernoud berichtet, einfach zu hoch. Sie ist eine berühmte Historikerin, und das merkt man auch. Es gibt kaum einen Grafen, Herzog, Prinzen, oder Fürsten der Richard jemals über den Weg gelaufen ist, den Pernoud nicht aufzählt.

Ich habe es bis zu Richards 19. Lebensjahr geschafft, und hatte an dem Punkt bereits völlig den Überblick verloren, wer welches Schloss, Anwesen, Burg, oder Provinznest besitzt, bewohnt, zum Aufstand anstachelt, angreift, belagert, schleift, oder wieder aufbaut. Für jemanden, der all diese erwähnten mittelalterlichen Adeligen richtig (oder auch nur ungefähr) einordnen kann, ist dies mit Sicherheit ein sehr spannendes Buch.

Mich hat es allerdings in meine geschichtlichen Grenzen gewiesen.

97 Orchard – An Edible History of Five Immigrant Families in One New York Tenement

 

von Jane Ziegelman

Der Titel und der Klappentext versprechen kulinarische Geschichten von fünf verschiedenen Familien in einem New Yorker Mietshaus. Dabei handelt es sich um die Familien Glockner, Moore, Gumpertz, Rogarshevsky und Baldizzi. Sie sind Deutsche, Iren, Juden, Polen und Italiener.

Leider sind die Familien lediglich der Aufhänger für die Kapitel, in denen es hauptsächlich um die Immigrantengruppen und ihren kulinarischen Einfluss auf die New Yorker Gesellschaft geht. Über die Familien selbst erfährt man so gut wie nichts, wenn man von Kommentaren wie „Die Glockners könnten vielleicht auch in diesem Restaurant gegessen haben“ absieht.

Was mir auch nicht gefiel waren die Zeitsprünge in den Kapiteln. Da wandert jemand 1860 ein, und vier Seiten weiter sind wir im Jahr 1924, nur um drei Seiten weiter wieder bei 1888 zu landen. Es ist wirklich nicht sehr strukturiert.

Sehr gut fand ich dagegen die vielen zeitgenössischen Rezepte, die man durchaus nachkochen kann. Und wenn man sich von der Erwartung loslöst, etwas über die Familien zu erfahren, ist es ein sehr aufschlussreiches Buch über den (kulinarischen) Einfluss der Masseneinwanderungen im New York des 19. Jahrhunderts.

Frauen, Fische, Fjorde

von Anne Siegel

Die Geschichte der Frauen, die 1949 und in den folgenden Jahren zu Hunderten nach Island aufbrechen, war mir überhaupt nicht bekannt.  Die Schicksale der porträtierten Frauen (und einem Mann) sind in mancher Hinsicht jedes mal recht ähnlich: Krieg, Flucht, Hunger, Nachkriegswirren.

Doch sie sind auch unterschiedlich, so gibt es die vertriebene Ostpreussin genauso wie die gebürtige Lübeckerin, Frauen aus einfachen Verhältnissen ebenso wie die privilegierte Offizierstochter.

Was sie alle gemeinsam haben ist, dass sie in Island eine neue Heimat gefunden haben. Die meisten wollten nur ein Jahr bleiben, doch sie fanden Ehemänner und ein Zuhause, lernten die Sprache und gründeten Familien. Einige der Frauen erzählen ihre Geschichte in diesem Buch zum ersten Mal.

Ich fand es sehr spannend!

Hotline für besorgte Bürger

von Ali Can

Interkulturelle Kommunikation ist ein Schlagwort, dass mir vor allem in Stellenanzeigen immer wieder unterkommt. Doch was ist das eigentlich? Klar, wer in Japan Maschinenteile verkaufen will, sollte schon auf Japanisch verhandeln können. Doch welche Rolle spielt das ganze in unserer eigenen Gesellschaft, ausserhalb des Geschäftslebens?

Ali Can setzt sich mit Migration und Integration auseinander, und sucht das Gespräch da, wo viele Haltmachen: bei Pegida, mit AfD-Wählern und besorgten Bürgern. Wer nicht als rechts gelten will, distanziert sich von Ihnen, und Gespräche auf Augenhöhe sind schwierig.

Ali fährt in den Osten der Republik und trifft sich mit Pegida-Anhängern. Das Ergebnis überrascht ihn selbst und führt 2016 dazu dass er eine kostenlose Hotline einrichtet. Er bekommt Anrufe von besorgten Familienvätern, von AfD-Mitgliedern und von jungen Leuten, die sich mit ihren Sorgen und Ängsten vor Überfremdung, vor dem Islam und vor Terroristen auseinandersetzen. Es kommt zu interessanten Gesprächen. Ali verurteilt nicht und predigt nicht, sondern hört sich die Argumente an und sucht erstmal den kleinsten gemeinsamen Nenner, von dem aus man weiter gemeinsam diskutieren kann.

Ich habe einiges gelernt beim Lesen – nicht nur, was „solche“ Leute so bewegt, sondern auch, wie man mit ihnen reden kann ohne sie gleich in die rechte Schublade zu stecken.

Passage to Ararat

von Michael J. Arlen

Als Sohn von Michael Arlen, dem berühmten britischen Schriftsteller der Zwanziger Jahre, wuchs Michael John Arlen in Frankreich und Amerika auf. Dass sein Vater bürgerlich Dikran Kouyoumjian hiess und aus einer armenischen Familie stammte war zwar kein Geheimnis, doch er schien alles armenische auf Abstand zu halten. Zuhause wurde kein Armenisch gesprochen, und die armenische Kultur wurde nicht gepflegt. Erst als Erwachsener, nach dem Tod des Vaters, macht Michael John sich auf die Suche nach seinen Wurzeln, die ihm – durch und durch Amerikaner – immer wieder begegnen und über die er so wenig weiss.

Von Armeniern, denen er in Amerika begegnet, hört er immer wieder die gleiche Litanei über den Völkermord, und lehnt die Opferrolle, die sie so gerne einzunehmen scheinen, ab. Schliesslich reist er mit seiner Frau in das damals noch der UDSSR zugehörige Armenien, um sich selbst ein Bild zu machen, um die „echten“ Armenier und das „echte“ Armenien zu erleben.

Beladen mit einem Koffer voller Bücher beginnt er in einem Hotelzimmer in Erivan damit, sich dem Land und den Leuten anzunähern. Er beginnt systematisch am Anfang, mit den Königen von Nairi, die einst ein großes Reich regierten und für ihre Pferdezucht berühmt waren, und nimmt den Leser mit auf eine spannende Reise durch die Zeit bis in die Gegenwart der 1970er Jahre.

Dabei lernt er viel dazu, erlebt, hinterfragt und erforscht, diskutiert mit Einwohnern und Emigrées, und wir werden Zeugen, wie sich sein eigenes Bild über Armenien, seine Herkunft, und seinen Vater wandelt.

Ein wunderbares Buch.

Necropolis – London and its Dead

4stars

von Catharine Arnold

Warum fährt die U-Bahn der Picadilly Line so verrückte Kurven zwischen Knightsbridge und South Kensington?

Warum tragen wir in Trauer die Farbe schwarz?

Warum durfte King James nach dem Tod von Queen Elizabeth I tagelang die Stadt nicht betreten?

Solche und ähnliche Fragen werden in diesem Buch unterhaltsam und anschaulich beantwortet, und alle haben mit Beerdigungen zu tun. Als ehemaliger Friedhofsgärtner habe ich sozusagen ein „berufliches“ Interesse an Friedhöfen, aber auch allgemein und im besonderen interessieren mich Beerdigungen.

Und als jahrelange Wahl-Londonerin interessiert mich die Geschichte der Stadt natürlich auch. London ist so groß, und so alt, dass man eigentlich überall die Vergangenheit gleich unter den Füßen hat – im wahrsten Sinne des Wortes. Von den Hügelgräbern aus der Bronzezeit über die Massengräber der schwarzen Pest bis hin zur Beerdigung von Lady Di führt das Buch fundiert und informativ durch die Geschichte der Toten in London.

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